Für alle war diese Pandemie-Zeit eine neue Erfahrung. Viele haben dramatische Opfer erbracht, einige haben profitiert. Die Politik hat vieles richtig gemacht. Nach über einem Jahr würden wir uns am liebsten die Ohren zu halten, wenn die Pandemie bzw. der Lockdown thematisiert werden. Unsere, die menschliche Welt wurde angehalten. Wir haben verzichtet, anders wahrgenommen, reflektiert, gebangt, getrauert, uns erschöpft und gehofft.
Inhaltsverzeichnis
erster Lockdown im Frühjahr 2020
Fast ungläubig hörten wir die dramatischen Nachrichten über die vielen Pandemie-Opfer. Später stellten wir fest, dass es kein Toilettenpapier, kein Mehl, kein frisches Brot, keine Nudeln und keine Hefe gab und das in einer Stadt wie Hamburg. Die Universität wurde dicht gemacht. Mein Sohn studiert seitdem online im Kinderzimmer meistens im Bett. Die Technik funktionierte zunächst nicht Ein Studenten-Leben, Praktika oder Exkursionen fielen aus. Unsere baldigen Leitungsträger saßen fest und wurden vergessen. Das werden sie sich merken.
Ich hatte kurz Spaß am Masken nähen und stattete die Familie damit aus, dann wurde Maskentragen zur Pflicht, der Spaß hörte auf.
Mein Mann startete mit dem Homeoffice im Haus in Süd-West-Mecklenburg. Endlich war jemand dauerhaft Vorort und er widmete sich nebenher der Wühlmausplage. 33 Wühlmäuse wurden erlegt. Alle Wühlmausfallen wurden besorgt und getestet. Der Sieger ist eindeutig die Wolfsche Wühlmausfalle. Er ist ein erfolgreicher Mauser geworden. Sorry, wir haben nach schmerzlichen Wühlmaus-Verlusten an Bäumen und Sträuchern keinerlei Mitleid mehr.

Mein berufliches Projekt kam ins Stocken. Die Workshops fielen aus, die Berater mussten wegen der Kontaktbeschränkungen wegbleiben.
Ich stieg wegen der Ansteckungsgefahr von den öffentlichen Verkehrsmitteln aufs Auto um. Die Straßen waren fast leer. Ich konnte durch den Elbtunnel rauschen. Unser Fuhrpark war für den täglichen Einsatz nicht zu gebrauchen, zu alt, zu unzuverlässig und zu viel Moos am Scheibengummi. Ein anderes Auto musste her, aber die Autohändler hatten geschlossen
Am ersten Tag der Wiedereröffnung haben wir das Auto gekauft, was am niedlichsten guckt.

Lockdown light im Sommer 2020
Der Sommer war entspannt. Wir konnten sogar im Hotel in Leipzig und Dresden übernachten. Jedes Hotel hatte ein anderes Hygiene-Konzept. Mal durften wir das fertig mit PE-Folie abgepackte Frühstück ohne Maske vom Büfett holen, mal mussten wir mit Maske ans offene Büfett. Aber was waren wir doch frei! In Leipzig und Dresden waren Straßen-Restaurants gut besucht, eine Atmosphäre wie immer.
Für das Maske-Tragen in der Firma erhielten wir einen Bonus, obwohl wir sowieso schon zu den Privilegierten gehören, denn wir haben noch unsere Jobs.
harter Lockdown im Herbst 2020
Jetzt wurde es auch für uns anstrengend. Ich startete mit dem Homeoffice, holte den Minischreibtisch aus dem Keller. Die Technik nervte, wurde aber immer besser. Schließlich funktionierten die virtuellen Meetings einwandfrei. Wir alle waren peinlich von der Erkenntnis berührt, wie überflüssig, Ressourcen-verpulvernd und geradezu dämlich die Reiserei mit Flugzeug und Bahn war. Was für eine sinnlose Rastlosigkeit. Warum haben wir uns nicht schon vorher virtuell getroffen und ausgetauscht? Wie oft war ich weg, obwohl mich zu Hause mein damals kleiner und süßer Sohn und mein Ehemann vermissten.
Kein erholsamer Urlaub in Sicht, kaum Kontakte, der Mann seit ca. einem Jahr weit weg im Home Office auf dem Land. Täglich erlebe ich ein schlechtgelauntes Kind, was zur Entspannung stundenlang Saxophon übt. Immer mehr Widerstände beim beruflichen Projekt. Virtuelle Teams-Meeting sind jetzt an der Tagesordnung und werden immer mehr. Die Hürde, diese zu organisieren, ist gering. Es ist nicht mehr nötig, einen Raum zu buchen oder die Technik zu organisieren. Wichtig, wir müssen uns aus dem Home Office heraus auch zeigen. Wir sind da und wir arbeiten auch!
Gehäufte und zum Teil sinnfreie Meetings mit immer mehr unterdrückter Aggressivität finden statt. Das Unternehmen im dauernden Zick Zack-Kurs und im Krisenmodus. Kälte und Dunkelheit setzen uns zu. Den ganzen Tag sitze ich in schlechter Haltung vor dem Notebook. Zweifel am Sinn der Arbeitsaufgabe kommen auf. Zur Mittagszeit gehe ich, wie viele jetzt, um den Block. Man sieht sich in die Augen und spürt, wie sehr wir doch soziale Wesen sind. Ein Blick-Kontakt oder sogar ein Lächeln sind Balsam für die Seele.
Meine Nachbarin sitzt ebenfalls im Homeoffice und wir lernen uns endlich kennen. Wir leben seit 2013 Tür an Tür. Ein schöner Nebeneffekt.

Zur Entspannung wird der Inhalt der Schränke durchgeguckt. Was haben wir eigentlich alles angehäuft, ohne davon überhaupt noch etwas zu wissen? Wieso habe ich so viele Kleidungsstücke und Schuhe. Ich kaufe in den nächsten Jahren nichts mehr! Ich will das alles nicht mehr! Wie gut es tut, dass in der Hamburger Innenstadt einige Klamottenläden endlich abgezogen sind. Wie tot ist die Hamburger Innenstadt ohne Konsum.
Eine Erschöpfung wird bei mir spürbar.
Situation Anfang 2021
Mein Sohn studiert immer noch allein in seinem Zimmer, schläft zu lange und ist blass. Für einen 20 zig Jährigen ist ein Jahr wie für uns „Alten“ fünf Jahre. Ich bezweifle, dass die Versäumnisse im Studium je wieder auf zu holen sind. Mein Sohn leidet still vor sich hin und wird hypochondrisch. Das tut mir unendlich leid und ich bin machtlos.
Ich bin nur noch erschöpft und muss eine Pause vom Job machen. Es beginnt eine Zeit der Reflexion und ich melde mich bei einem Blog-Kurs an. Eine andere Welt tut sich auf. Mit-Bloggerinnen zeigen mir, wie reflektiert man durch das Leben gehen kann. So langsam begreife ich auch Social Media. Wo war ich nur die vielen Jahre? Ich werde mein Leben ändern müssen!